Guest Post: Föderalismus als Vor- und Nachteil für die Digitale Schweiz - Nicolas Zahn

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Nachdem Verwaltungen in anderen Ländern, wie beispielsweise Estland, viel Aufmerksamkeit für ihre Digitalisierungsbemühungen erhalten haben, ist digitale Transformation im öffentlichen Sektor auch in der Schweiz ein Thema. Weniger oft wird jedoch über die speziellen Eigenschaften der Schweiz gesprochen, welche es auf dem Weg zur „Digitalen Schweiz“ zu beachten gilt. Eine wichtige dieser Eigenschaften ist der Föderalismus welcher, falls übersehen ein Hindernis, falls richtig genutzt ein Vorteil für die „Digitale Schweiz“ sein kann.

Der ausgeprägte Schweizer Föderalismus sorgt dafür, dass die Kantone über viele Belange die Hoheit behalten und nur wenige Kompetenzen an den Bund abgegeben werden. Dies steht in krassem Widerspruch zu klassischen Zentralstaaten sorgt aber zusammen mit dem Subsidiaritätsprinzip dafür, dass Politik der jeweiligen Region angepasst werden kann und lokale Entscheide gemäss den lokalen Bedürfnissen entstehen. Der Föderalismus sorgt in verschiedensten Bereichen, sei es das Steuerwesen oder das Bildungssystem, auch für einen Standortwettbewerb zwischen den Kantonen.

Doch der ausgeprägte Föderalismus ist nicht ohne seine Kritiker, denn mit einer hohen Binnenmigration kann der Standortwettbewerb, welcher zu unterschiedlichen Ausgestaltungen des politischen Lebens führen kann, schnell von einem Vor- zu einem Nachteil für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger werden. So gibt es beispielsweise im Bildungsystem seit einiger Zeit das Bemühen für eine Harmonisierung der kantonalen Bildungssysteme.

Doch was hat das nun mit digitaler Transformation zu tun? Viele Technologien, zum Beispiel das Internet, leben ja gerade davon, dass sie dezentral aufgesetzt sind. Das müsste ja eigentlich gut zum föderalen Modell der Schweiz passen, oder?

Nicht zwingend, denn auch wenn Dezentralisierung ein wesentliches Merkmal vieler heutiger Technologien ist, so beschränkt sich Dezentralisierung auf die technische Umsetzung. So lebt beispielsweise das Internet in seiner Implementierung von dezentralen Knotenpunkten, basiert jedoch auf zentral definierten Standards und Protokollen, welche koordiniert durch Fachgruppen und Institutionen erarbeitet wurden. Werden jedoch Strategien zur digitalen Transformation dezentral und unkoordiniert erstellt führt dies zu Doppelspurigkeiten, fehlender Interoperabilität und weiteren Ineffizienzen. Meistens führt dies dazu, dass die Bürgerinnen und Bürger mit den digitalen Dienstleistungen nicht zufrieden sind und sehr viel Geld in IT-Projekten versinkt. Bereits auf einer Staatsebene kämpfen Verwaltungen bei der digitalen Transformation damit die Hürden zwischen einzelnen Departementen zu überwinden. Der Föderalismus verschärft diese Problematik da hier nicht nur zwischen verschiedenen Departementen sondern auch über mehrere Staatsebenen hinweg koordiniert werden sollte. Die Schweiz läuft deshalb Gefahr, besonders anfällig für mangelnde Koordination zu sein.

Dieser Problematik tragen auch Empfehlungen für digitale Strategien Rechnung. So fordert beispielsweise die „OECD Recommendation on Digital Government Strategies“ zentrale Koordination und eine verantwortliche Stelle für die Ausarbeitung einer digitalen Strategie. Diverse Länder setzen dies bereits mittels einen „Chief Digital Officers“ um und auch in der Schweiz wird der Ruf nach einer solchen Position auf Bundes- und Kantonsebene laut. Bisher hat das Parlament in der Schweiz das wachsende Bedürfnis über Kantonsgrenzen hinweg zu kooperieren eher bei Themen wie Cyberkriminalität geäussert und nicht bei der digitalen Transformation des öffentlichen Sektors

In der aktuellen Strategie „Digitale Schweiz“ lässt sich zwar entnehmen, dass auf Bundesstufe eine zentrale Federführung durch das Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) eingeführt werden soll und dass es „einer Vernetzung aller Ansprechsgruppen und einer Zusammenarbeit der Verwaltung auf allen föderalen Ebenen“ bedarf. Doch stehen wir bei der Umsetzung dieser Strategie noch am Anfang. Wie sieht es beispielsweise mit der Rolle der Konferenz der Kantone aus? Das Thema Digitalisierung wurde in diesem Gremium bisher hauptsächlich unter dem Aspekt des Einflusses auf das Bildungssystem behandelt.

Dabei wäre der Austausch zwischen den Kantonen wichtig, nicht nur um mit der digitalen Transformation koordiniert umzugehen, sondern auch um den Föderalismus als Vorteil in der Digitalisierung zu nutzen. Der Föderalismus bietet uns 26 Labore, in denen die Kantone Elemente der digitalen Transformation testen können. Über diese Erfahrungen kann man sich dann mit den anderen Kantonen austauschen und gute Lösungen in eine nationale Strategie einbinden und skalieren.

Die Schweizer Verwaltung tut gut daran beim Blick ins Ausland nicht die Schweizer Eigenheiten zu vergessen, sondern diese möglichst als Stärke zu nutzen und auf gewisse Eigenbrötlereien bis zu einem bestimmten Grad zu verzichten. Es gehört ja bereits zum guten Ton, viele Stakeholder an einen Tisch zu holen, da sollte man dies bei der digitalen Transformation nicht anders handhaben. Dafür müssen die Kantone nicht Kompetenzen an den Bund abgeben und die einzelnen Departemente müssen auch nicht auf ihre Kompetenzen verzichten, aber sie müssen sich austauschen und ihre Bemühungen zur digitalen Transformation koordinieren. Die Bürgerinnen und Bürger, welche sich dann nicht mit 26 verschiedenen Systemen umherschlagen müssen, danken es Ihnen.


Nicolas Zahn hat in Zürich, Genf und Washington DC Politik und Internationale Beziehungen studiert. Er ist zur Zeit Fellow des Mercator Kollegs für Internationale Aufgaben und beschäftigt sich mit der digitalen Transformation im öffentlichen Sektor.