Wie Ideen in der österreichischen Bundesverwaltung laufen lernen: Unser Interview mit Angelika Flatz

Angelika Flatz - Cred Bohmann Verlag Richard Tanzer

"Man kann Innovation nicht anordnen, aber es ist möglich, die Voraussetzungen für Innovation zu schaffen." Das sagt Angelika Flatz, Chefin der Sektion öffentlicher Dienst und Verwaltungsinnovation in der österreichischen Bundesverwaltung. Im staatslabor-Interview erläutert die Juristin, welche Rolle Projekte wie das GovLab Austria, der österreichische Verwaltungspreis oder Innovationsnetzwerke spielen, damit öffentliche Innovationsideen "laufen lernen", wie sie sagt - und weshalb sie Führungspersonen in der Verwaltung in der Pflicht sieht, mit ihren Ideen aktiv auf die Politik zuzugehen.

Sie sind Chefin der Sektion öffentlicher Dienst und Verwaltungsinnovation im österreichischen Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport. Die Sektion unterstützt die Dienststellen des Bundes mit einem “modernen Personal- und Organisationsmanagement”, wie es auf Ihrer Website heisst. Wie tun Sie das?

Wir gehen von den Kernaufgaben der öffentlichen Verwaltung aus: die Unterstützung eines friedlichen gesellschaftlichen Zusammenlebens und die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit. Während die Politik dabei den Handlungsrahmen, also die Ziele, vorgibt, ist die Aufgabe von öffentlichen Verwaltungen, diesen Rahmen mit geeigneten Massnahmen gestalterisch und proaktiv auszufüllen. Dies ist keineswegs ein linearer Prozess. Die Verwaltung trägt in meinen Augen bereits im Vorfeld von politischen Entscheidungen eine Verantwortung. Sie hat eine Bringschuld: Sie sollte Vorschläge und Fakten vorbringen, damit die Politik die bestmöglichen Entscheidungen treffen kann, um ihre gesellschaftspolitischen Ziele zu erreichen. Solche Vorleistungen stärken das Vertrauen in die Verwaltung. Dazu müssen die Mitarbeiter der Verwaltung natürlich in den politischen Planungsprozess miteinbezogen werden. Dafür setze ich mich ein. 

Wie verhält sich diese Ansicht zur traditionellen Sichtweise, dass die Politik die strategische Richtung vorgibt und die Arbeit der Verwaltung danach einsetzt?

Ich denke, diese Ansicht entspricht einem alten Führungsmodell. Für mich handelt es sich eher um einen verschränkten Prozess und einen Diskurs, wobei die Führungspersonen in der Verwaltung in der Pflicht sind, aktiv auf die Politik zuzugehen. Die Politiker verfolgen ihre strategischen Ziele, deren Erfüllung wir als Expertenorganisation mit unseren Vorschlägen unterstützen können.

Die Schwierigkeit ist dabei, dass dies Zeit braucht, Politiker aber sehr unter Druck stehen, exponiert sind und schnelle Ergebnisse erwartet werden. Sie schieben Aufgaben, die über ihre Legislaturperiode gehen, eher hinaus. Diese sind auch für die Medien und die breite Öffentlichkeit weniger von Interesse. Die Verwaltung muss aber versuchen, einen Interessenausgleich bei verschiedenen Gesellschaftsgruppen herzustellen, damit eine eingeführte Massnahme keine neuen Verlierergruppen kreiert. Dabei stellen sich manchmal Ziel- und Interessenkonflikte heraus. Hier ist dann der politische Diskurs wichtig - das Hauptelement der Demokratie. 

Ihre Aufgaben betreffen auch die Verwaltungsinnovation, welche bereits im Namen Ihrer Sektion genannt wird. Wie kam es zu dieser zentralen Positionierung von Innovation, und welche Effekte hat dies in Ihrem Arbeitsalltag?

Es war mir wichtig, dass wir von der Bezeichnung “Reform” zu “Innovation” übergehen. Letztere hat eine deutlich positivere Konnotation,  steht für etwas Aktives und Neues. Wir können neue Herausforderungen nicht lösen, wenn wir einfach mehr von bereits bestehenden Massnahmen durchführen. Die Geschwindigkeit und Dynamik, mit der neue Herausforderungen auf uns zukommen, haben sich sehr verändert. Dies zeigte uns hier in Österreich auch die Flüchtlingskrise, welche uns 2015 als öffentliche Verwaltung ziemlich überrumpelte. 

Als Verwaltung ist es uns, ähnlich wie einem Containerschiff, nicht möglich schnell zu wenden. Um auf grosse Herausforderungen reagieren zu können, sind wir auf Schnellboote angewiesen: Zum Beispiel die Unterstützung von NGO’s und auch von Bürgerinnen und Bürgern, wie dies während der Flüchtlingskrise auch der Fall war. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns Gedanken zur Zusammenarbeit mit diesen Akteuren machen. Einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Ich schicke dazu immer wieder Verwaltungsmitarbeitende in eine neues Setting und lasse sie die wichtigen Fragen mit Dritten diskutieren. So können Silos aufgelöst werden und sie erhalten neue Inputs, die wir dann gemeinsam besprechen. Man kann Innovation nicht anordnen, aber es ist möglich, die Voraussetzungen für Innovation zu schaffen. Ich nenne das Infektionstheorie, ich versuche die Leute mit einer Idee zu “infizieren”. (lacht)

Welche konkreten Veränderungsprojekte gibt es in Ihrer Sektion, die Sie als besonders wichtig oder wirkungsvoll hervorheben würden?

Eines der grössten Projekte in der österreichischen Bundesverwaltung ist die Einführung der wirkungsorientierten Verwaltungssteuerung. Wir schätzen nun die möglichen Auswirkungen von Gesetzesvorhaben, Verträgen und Kampagnen ein, hinterlegen dies mit Kennzahlen und Indikatoren und verpflichten uns, nach fünf Jahren eine Evaluierung vorzunehmen. Dies wird publiziert und auch im Parlament mit den Abgeordneten diskutiert und nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht. 

Ein weiteres Beispiel ist die Schaffung von GovLab Austria, einer Dachorganisation, die Innovation fördert. Dabei vergibt diese keine Förderaufträge, sondern dient als Plattform zum Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung und fördert die Zusammenarbeit zwischen gleichberechtigten Partnern inner- und ausserhalb der Verwaltung. Und schliesslich habe ich die Innovationsnetzwerksitzungen lanciert, welche die Ansprechpersonen für Innovation von verschiedenen Ebenen in der Verwaltung an einen Tisch bringt. 

Ein anderes Beispiel ist der österreichische Verwaltungspreis, mit dem zukunftsweisende Projekte der Gemeinden, Länder und der Bundesverwaltung sowie Kooperationsprojekte prämiert und der breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Richtig. Man muss einfach sagen, dass ein Wettbewerb die kostengünstigste Art und Weise ist, um innovative Projekte zu recherchieren, zu analysieren und auch medienwirksam zeigen zu können. Zudem kann so die Idee der Innovation in der Verwaltung gestreut werden. Eine Jury aus Verwaltungsangestellten, aber beispielsweise auch Studierende der Wirtschaftsuniversität Wien und von Fachhochschulen, suchen jeweils die besten Projekte aus. Grundsätzlich steht aber nicht das Gewinnen im Zentrum, sondern die Vernetzung und Berichterstattung. Ebenfalls wichtig ist mir, dass es sich nicht um eine einmalige Angelegenheit handelt, sondern dass ein fortlaufender Austausch stattfindet. Dazu haben wir die Transferveranstaltungen “im Fokus” ins Leben gerufen, in welchen zukunftsweisende Verwaltungsprojekte vorgestellt werden. 

In unserer Arbeit begegnen uns viele Verwaltungsangestellte, die gegenüber Innovation eigentlich positiv eingestellt sind, aber das Fehlen von Geld, Zeit und Wissen als oft übergrosse Hürden sehen. Wie beginnt man als Verwaltungseinheit, die mit diesen Restriktionen zu kämpfen hat, mit innovativen Aktivitäten? 

Das höre ich natürlich auch oft. Ich denke, Innovation muss in der Verwaltung zuerst als Themenfeld etabliert, Kompetenzen verteilt und Personen klar beauftragt werden. So sind die Verwaltungsangestellten unter Druck und müssen Ergebnisse liefern. Zu grosse Bequemlichkeit fördert die Innovation nicht. Ein gewisser Druck und vor allem Vertrauen sind notwendig. 

Gleichzeitig nehmen wir auch wahr, dass öffentliche Innovation oft von den heute möglichen Tools und Instrumenten her gedacht wird - "machen wir eine App!" - und zu wenig vom Ende her, von den Beweggründen, vom "wozu". Steht dies der nachhaltigen Einbettung von Innovation in der Verwaltung im Weg?

Ja, ich denke, das trifft zu. Der Kontext, in der die Verwaltung sich bewegt, wird zu wenig berücksichtigt. Gewisse neue digitale Tools werden mit einem naiven Glauben eingeführt. Wenn eine Verwaltung beispielsweise plötzlich auf Facebook total aktiv sein soll, stellt sich die Frage, in welchen Bereichen dies für eine hierarchisch aufgebaute Expertenorganisation überhaupt Sinn ergibt, wer die Verantwortung dafür hat und ob in dieser Geschwindigkeit kommuniziert werden kann.

Wir sollten keine neue Kanäle öffnen, mit denen wir nicht sinnvoll umgehen können, sondern in die Realität hinausgehen und erkunden, wie wir Zukunftsfragen auf Augenhöhe diskutieren können. Im Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern kommt der Wunsch nach Partizipation natürlich häufig auf. Wir gehen dann beispielsweise in Innovationslaboren den Rechtsetzungsprozess durch und erarbeiten, wie Mitbestimmung innerhalb dieses Prozesses aussehen könnte und wo die Grenzen liegen. Dabei geht es um die ganzheitliche Betrachtung: Wir sprechen oft von der Intelligenz der Vielen, lassen aber das Thema der Schwarmdummheit vollständig aus. Im Diskurs wird zudem schnell allen klar, dass Partizipation nicht bedingungslos durchführbar ist. Keine Verwaltung kann Tausend Vorschläge pro Woche lesen, durchdenken, analysieren und in den Gesetzgebungsprozess einbinden. Partizipationsprozesse müssen Sinn machen. Wenn die Menschen fühlen, dass sie ernst genommen werden, kann Vertrauen entstehen - etwa gerade auch dafür, dass keine schnellen Lösungen für komplexe Herausforderungen bestehen. 

Sie haben vor Ihrer Tätigkeit in der Verwaltung auch in der Privatwirtschaft gearbeitet. Welche Kompetenzen sind für öffentliche Innovation in diesem Zusammenhang besonders gefragt, gerade auch im Kontrast zum privaten Sektor? 

Der grösste Unterschied zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor ist die Fehlerkultur - und damit die Innovationskultur. Um neue Ideen zu entwickeln, muss es möglich sein, Fehler zu machen, sich irren zu dürfen, um dann daraus lernen zu können. Natürlich gibt es auch in der Privatwirtschaft einen Erfolgsdruck, aber es droht nicht gerade ein Disziplinarverfahren, die Streichung der Gelder und Abzug des Personals, wenn ein Projekt einmal scheitert.

In diesem Setting eine Innovationskultur zu etablieren ist eine sehr schwierige, aber auch eine der notwendigsten Aufgaben. Da stehen die Führungskräfte aller Ebenen in der Pflicht. Dies hat auch positive Konsequenzen für das Personalmanagement: Man kommt weg vom Bild der Verwaltungsmitarbeitenden mit Ärmelschonern, die nur administrieren und vollziehen, und wird attraktiv für junge Leute. Die Verwaltung kann nicht so schnell reagieren wie die Privatwirtschaft und die Löhne frei von der Hand anpassen. Aber sie hat als Arbeitgeberin viel zu bieten. Sie kann heute ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem die Menschen Dienste für die Gesellschaft erbringen können und eine Innovationskultur vorfinden, in dem ihre Ideen laufen lernen. 

 

Angelika Flatz ist Chefin der Sektion öffentlicher Dienst und Verwaltungsinnovation in der österreichischen Bundesverwaltung. Sie ist Juristin, hat Erfahrung in der Privatwirtschaft und blickt auf zahlreiche Positionen in der österreichischen Verwaltung zurück. Unter anderem war sie Leiterin des Büros der Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst sowie Leiterin des Büros der Präsidentin des Nationalrates. Ihre aktuellen Arbeitsthemen sind das Dienst-, Besoldungs- und Pensionsrecht, Personalmanagement und Personalsteuerung im öffentlichen Dienst. Wirkungsorientierte Verwaltung, Verwaltungsinnovation und Qualitätsmanagement im öffentlichen Dienst sind weitere Schwerpunkte.

(Foto Credits: Bohmann Verlag / Richard Tanzer)