Open Data: ein offenes Gespräch mit Hannes Gassert

Hannes Gassert bei Marco Zanoni portait entrepreneur in progress

Lieber Hannes, ein grosses Dankeschön, dass du hier mit uns, an diesem schönen Frühlingstag, über eines deiner Fachgebiete sprichst - Open Data. Es wird ausgiebig über Big Data gesprochen und darüber was wir teilen, wenn wir konsumieren. Viele haben eine Idee von was die Rede ist und welche Daten zu schützen sind. Aber was kann man von “open” erwarten?
Gute Frage. “Open” ist ein positiv konnotiertes Wort und es ist schwierig dagegen zu sein. Alle sind “open”: open minded, open hearted, open for business oder open für was auch immer. Es gibt aber auch Befürchtungen. Deswegen ist es wichtig zu verstehen, was wir damit meinen. Dafür arbeiten wir mit opendefinition.org und sagen: “Offen” bedeutet, dass man freien Zugang zu Daten hat, die Freiheit diese Daten weiter zu verarbeiten und diese dann weiter zu geben.

Das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) definiert “öffentlich” in Bezug auf Dokumente des Bundes. Ist das auch “open” im Sinne von Open Data?
Das BGÖ definiert ein passives Öffentlichkeitsprinzip, es definiert das Recht des Bürgers, der Gesellschaft und der Medien nach der Veröffentlichung von Unterlagen fragen zu können. Im Gegensatz dazu ist Open Data ein aktives Öffentlichkeitsprinzip, "open" by default, offen als Standard. Wenn wir von Daten sprechen, dann wird explizit von maschinenlesbaren Daten gesprochen. Damit sind nicht PDF-Dateien mit Sitzungsprotokollen oder ähnliches gemeint, sondern Daten, welche von einer Software unmittelbar gelesen und verwertet werden können. Wir sprechen etwa von Datenbanken und strukturierten Tabellen, welche zum Beispiel für Statistiken genutzt werden können.

Wäre eine Excel Tabelle ein Beispiel dafür?
Das wäre sicher ein Ausgangspunkt. Es gibt die 5 Sterne Skala für Open Data, welche von Tim Berners-Lee, dem Erfinder des World Wide Web, kreiert wurde. Wir sprechen hier von Daten in einem offenen Format, welches jeder lesen kann. Zum Beispiel eine Liste von Zahlen getrennt durch Kommas. Dieses Format ist ideal für Programmierer und kann von jeder Art von Software gelesen werden. Es geht also darum, was man mit den Daten tun kann.

Was für spannende, staatliche Daten gibt es und wie kann man diese verwerten? 
Spannende Daten fallen vor allem dort an, wo das tägliche Leben betroffen ist. Wir sitzen gerade im Freien, dafür sind die Wetterdaten sehr relevant. Wenn es regnen würde, dann sässen wir drinnen und ich wäre heute Morgen nicht mit dem Velo gekommen. Ihr seid wahrscheinlich mit dem Tram hergekommen. Die Daten des öffentlichen Verkehrs sind dafür extrem relevant und betreffen uns jeden Tag. Diese Daten sind seit letzten Jahres als Open Data verfügbar und füttern junge Start-Ups ebenso wie grosse Unternehmen. Es entstehen Apps und Dienstleistungen für effizientere, bessere Mobilität. 
Es geht hier also nicht nur um das Recht eine Karte oder einen Fahrplan anzuschauen. Es geht um das Recht die Daten bei sich einzubauen und damit neue Erfindungen und Geschäftsideen zu nähren. Verkehrs-, Wetter- oder Geodaten sind besonders spannend, weil sie das tägliche Leben betreffen. Es gibt aber natürlich weitere Beispiele, wie Daten über die Abstimmungen im Parlament. Diese Daten schaffen Transparenz und sind genauso wichtig, auch wenn sie das tägliche Leben oft nicht unmittelbar betreffen. 
Und dann gibt es noch die Daten, welche Geld betreffen. Eine transparente öffentliche Beschaffung ist eine andere und bessere öffentliche Beschaffung. Es geht bei Open Data also nicht nur darum, neue Sachen zu erfinden, sondern es geht darum, dass Daten Teil der Infrastruktur einer Stadt, eines Kantons oder der Schweiz sind. Die digitale Schicht, welche über allem liegt. Die digitale Schicht über den Strassen oder dem Abwasserkanal gehört genauso zur öffentlichen Infrastruktur wie das Ding selbst. 

Weil wir dafür bezahlt haben?
Genau, weil wir dafür bezahlt haben, weil wir diese auch nutzen und weil Daten immer mehr eine effiziente Nutzung ermöglichen. Wir können den öffentlichen Verkehr als Beispiel nehmen. Die Leistung wird sich nicht steigern, indem wir breitere und höhere Züge anschaffen, das ginge ja gar nicht. Die Leistung kann nur gesteigert werden, indem sich Verkehrsträger “smart” aufeinander abstimmen, indem sich das System besser koordiniert und indem auf Störungen geschmeidiger reagiert werden kann. Um das zu erreichen, müssen alle innovativen Kräfte zusammenarbeiten, Daten bereitgestellt und so neue Möglichkeiten für neue Player geschaffen werden.

2011 wurde für die Schweiz das “Open Government Data Manifest” entwickelt, an dem du mitgeschrieben hast. Was hat sich in der Zwischenzeit verändert?
Seit damals hat sich viel verändert und es ist eine Entwicklung in der Denkart, in den Strategien und auch im Gesetz zu spüren. Die Entwicklung ist am stärksten in den Communities zu sehen. Am Anfang dachten viele, wir wollten ihnen “auf die Finger schauen”, um dann heftig zu kritisieren und die Verwaltung schlecht zu machen — ”Beamtenbashing” also, um das es opendata.ch aber freilich auf keinen Fall geht.

Solche Vorwürfe sind nicht weit hergeholt und beruhen bestimmt auch auf Erfahrung?
Natürlich stellt sich die Frage, wie man mit Kritik umgeht. Es ist ganz einfach: Versteht man den Nachweis einer Unregelmässigkeit oder eines Fehlers in den Daten als Angriff? Oder als Peinlichkeit? Oder aber doch mehr als gute Chance besser zu werden und ist dankbar für den Hinweis? Da herrschen teilweise noch veraltete Rollenbilder vor. Doch Digitalisierung macht Transparenz zum Normalfall. Bundesordner mit Dokumenten lastwagenweise rumzukarren, für ein bisschen mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit, ist keine Option — bereits aufbereitete Daten verfügbar zu machen hingegen, kostet kaum mehr als ein paar Klicks. Der Bund hat darum auch eine Open Data-Strategie entwickelt, welche nächstes Jahr erneuert werden muss. Es gibt auch gesetzliche Anpassungen. Aber ein übergreifendes, grosses Open Data-Rahmengesetz fehlt allerdings noch. Entsprechend muss jede Datenquelle auch rechtlich isoliert betrachtet werden, was den Öffnungsprozess sicher nicht beschleunigt. Gesetze brauchen Zeit, Einstellungen ändern sich aber manchmal schnell. Den grössten Wandel sehen wir auch in der Community. Als wir starteten, war Open Data ein Technologie-Thema. Im Film hätten bei sowas alle Brillengläser, die drei Zentimeter dick sind. Heute hat sich das klar verändert, an den “Open Food HackDays” hatten wir unglaublich durchmischte Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Wer ist das und wer hat dabei mitgemacht?
Die “Open Food Hackdays” sind Bestandteil eines Programms, welches der Verein opendata.ch in der Zusammenarbeit mit der EPF Lausanne und mit der Unterstützung von Engagement Migros durchführt. Es geht darum, ein Ökosystem der Basisdaten rund um das Essen entstehen zu lassen. So oft liegt das Handy neben dem Teller oder in der Tasche beim Einkaufen. Es gibt den, der gesünder essen will oder den, der auf das Budget achten muss, ein anderer wiederum will einfach mehr lokal essen. Da gibt es enorm viel Potenzial für Innovation und wir wollen den Prozess beschleunigen, indem wir Daten öffnen helfen, Leute zusammenbringen und ihnen einen Rahmen bieten, der gute Ideen wachsen lässt.

Was gibt es für spannende Daten, für jemanden, der auf kommunaler oder auf kantonaler Ebene in der Verwaltung arbeitet, mit denen Projekte gestartet werden können?
Einfach: Erstmal niedrig hängende Früchte ernten, Daten die schon da sind, die offen sein könnten weil es keinen guten Grund gibt, sie geheim zu halten. Diese Daten offenlegen, das geht fast immer. Darüber hinaus: Ich glaube, dass wir als nächstes die Grundlagen Stadt für Stadt sicherstellen müssen. Das ist zuerst die digitale Schicht über der Infrastruktur, welche auch die Grundlage für Smart City Projekte ist. Das bedeutet, dass Daten zum Verkehr, Wetter, Baustellen und Geodaten als Basisinfrastruktur gelten. Das ist auch nicht schwierig, weil keine Privatsphäre verletzt wird und keine Geheimnisse geschützt werden müssen. Es ist kein Betriebsgeheimnis, wann das Tram fährt oder ob es zu spät ist. Wenn dann eben ein Journalist kommt und eine Datenvisualisierung über Tramverspätungen macht, wird man sehen, in der Schweiz ist das Tram nie zu spät und dieses Gefühl, dass das Tram immer zu spät ist, nicht stimmt. Verlieren kann man wenig, gewinnen aber viel. Man sieht, dass der fachliche Leader der prädestinierte Open Data Leader ist. Die Besten der grossen Universitäten haben als erste ihre Kurse ins Internet gestellt. Transparent sein ist einfach, wenn man gut ist. Und die SBB ist sozusagen das Harvard des öffentlichen Verkehrs, so wie viele Schweizer Institutionen ja exzellent sind. Deswegen darf es bei uns nicht schwer sein, Open Data zu machen.

Gibt es andere Projekt wie das Food Projekt?
Ich freue mich sehr, dass wir im Herbst das Thema Tourismus anpacken können. Die Herausforderungen in der Digitalisierung des Tourismus sind riesig. Die Buchungsplattformen bereiten vielen Bauchweh und wenn man eine unter 20 oder sogar 30 jährige fragt: die war noch nie in einem Tourismusbüro. Alenka, du warst noch nie in einem Tourismusbüro! (lacht) Nein, du schaust auf deinem Handy nach, wann die nächste Seilbahn fährt oder welche coolen Angebote es gibt. Wenn die Tourismusgebiete digital nicht existieren, dann existieren sie auch bald einfach nicht mehr. Diese Herausforderungen müssen gemeinsam gemeistert werden. Ein einzelnes Tal wird sich keine Virtual Reality Tour auf Chinesisch bauen können. Aber gemeinsam ist es vielleicht möglich.
Wie gesagt, Smart City wird ein riesiges Open Data Thema sein. Fast jede Stadt beschäftigt sich zurzeit damit. Barcelona sagt zum Beispiel: Wir machen nur Open Smart City. Es kann nicht sein, dass Smart City die Privatisierung des digitalen, urbanen Raums bedeutet. Digitale, urbane Räume müssen offen sein für alle. Lokale Innovatoren aller Art, geschäftliche, soziale, staatliche und so fort, müssen angemessen Zugriff haben, damit Innovation vor Ort möglich ist. Es kann nicht digitale Willkür sein. Und das muss vor Ort im konkreten Handeln sichergestellt sein, nicht auf Niveau Bund oder über grosse Gesetze. Die Digitalisierung der Städte muss allen Innovation ermöglichen, nicht nur wenigen.

(Foto: Marco Zanoni)