Wie das BAFU mit Pilotprojekten die Anpassung an den Klimawandel angeht

Hochwasser in Luzern

Lieber Thomas, Anfang des Jahres hatten wir das Vergnügen uns kurz im staatslabor über euer Pilotprogramm "Anpassung an den Klimawandel" auszutauschen. Kannst du uns hier in wenigen Sätzen erklären, worum es sich dabei handelt?
Das Pilotprogramm ist ein vergleichsweise kleines Förderprogramm und eine Initiative von sechs Bundesämtern zur Unterstützung von Kantonen, Regionen und Gemeinden bei der Anpassung an den Klimawandel. Ein Thema, das für die meisten Beteiligten relativ neu ist. Die Idee dahinter ist, dass man beispielhafte Projekte in der Praxis anstösst und umsetzt. Wie kann man vor Ort Klimarisiken reduzieren, Chancen nutzen oder die Anpassungsfähigkeit steigern?
Das Programm wird jetzt abgeschlossen und es wurden 31 Projekte zwischen 2014 und 2016 gefördert. Die Federführung liegt beim Bundesamt für Umwelt (BAFU), dazu sind das Bundesamt für Gesundheit (BAG), Landwirtschaft (BLW), Bevölkerungsschutz (BABS), Lebenssicherheit und Veterinärwesen (BLV) und Raumentwicklung (ARE) beteiligt. Die Projekte beschäftigen sich mit verschiedenen Themen, wie lokale Wasserknappheit oder Naturgefahren bis hin zu Stadtentwicklung und sind von unterschiedlichen Projektträgern, wie Kantonen, Gemeinden, Unternehmen, Verbänden und Versicherungen über das ganze Land verteilt umgesetzt worden.
 
Für öffentliche Einrichtungen ist es oft schwierig, konkrete Massnahmen zu umfassenden Problematiken umzusetzen, zu denen Klimawandel selbstredend zählt. Wie seid ihr zu dem Ansatz des Pilotprogramms gekommen?
Die Ausgangslage war ein Auftrag des Bundesrats aus dem Jahr 2009: Die zuständigen Bundesämter sollten ein Strategie zur Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz erarbeiten. Das BAFU koordiniert diesen Prozess. Den ersten Teil der Strategie mit Zielen und Handlungsfeldern hat der Bundesrat 2012 verabschiedet. Damals gab es in den Kantonen und Gemeinden praktisch keine Aktivitäten zur Anpassung. Doch vor allem auf diesen Ebenen zeigen sich die Auswirkungen des Klimawandels, und dort müssen sie auch bewältigt werden. Wir haben uns deshalb entschlossen das Pilotprogramm aufzugleisen, um die Kantone, Regionen und Gemeinden bei den neuen Herausforderungen zu unterstützen. Beim Programmdesign haben wir uns an einem Förderprogramm zur nachhaltigen Raumentwicklung des ARE orientiert. Das Pilotprogramm wurde dann als sektorenübergreifende Massnahme in den zweiten Teil der Anpassungsstrategie aufgenommen, den Aktionsplan 2014-2019.
 
Was sind die Ziele des Pilotprogramms, etwa in Bezug auf die Ebenen der Sensibilisierung, das Schaffen von Praxisbeispielen und die Vernetzung von verschiedenen Interessengruppen?
Das Hauptziel des Programms war es, gute Praxisbeispiele zu schaffen. Diese guten Beispiele sollen zeigen, wie Anpassung an den Klimawandel in einem bestimmten Sektor wie Wasserwirtschaft oder Stadtentwicklung und in einem konkreten Gebiet aussehen kann.
Die meisten Akteure in den Kantonen und Gemeinden sind bisher nur mit dem Klimaschutz vertraut. Die Reduktion der Treibhausgasemissionen hat nach wie vor Priorität. Noch zu wenig bekannt ist dagegen, dass viele Auswirkungen nicht mehr vermeidbar sind und wir uns darauf vorbereiten müssen. Ein Ziel des Pilotprogramms war es deshalb auch, die Stakeholder vor Ort für die Notwendigkeit von Anpassungsmassnahmen zu sensibilisieren. Die Schweiz ist schon heute stark vom Klimawandel betroffen. Seit den ersten Messungen 1860 ist die Jahresmitteltemperatur um 2 Grad gestiegen, global sind es 0.9 Grad. Aktuelle Klimaszenarien zeigen, dass in der Schweiz im schlechtesten Fall mit einer weiteren Zunahme von rund 5 Grad bis Ende des Jahrhunderts gerechnet werden muss. Diese Zunahme kann nur noch begrenzt und nicht aufgehalten werden. Ein weiteres Ziel war es, die Zusammenarbeit und Vernetzung der Akteure zu fördern, weil sich die Probleme nur gemeinsam bewältigen lassen. Es braucht dazu nicht nur den Bund, sondern auch die Kantone, Regionen und Gemeinden, die Wirtschaft und die Wissenschaft.
  
Du sprichst von Praxisbeispielen, wie erfolgt das Teilen von Erfahrungen und best practices?
Im Programm wurden Erfahrungen und Ergebnisse in verschiedenen Formaten ausgetauscht, wie etwa an drei grossen Veranstaltungen, an Workshops zu spezifischen Themen oder via Newsletter und Webseite, auf der alle Projekte beschrieben sind und deren Produkte hochgeladen werden. Dazu gibt es einzelne Projekte, wie das Beispiel aus Davos, das mit einem sehr guten Video zum Austausch anregt. Letztes Jahr haben wir eine internationale Tagung in Bern organisiert, bei der sich die Schweizer Pilotprojekte und auch Praxisbeispiele aus unseren Nachbarländern präsentiert haben. Dieser Austausch über die Grenzen ist wichtig, weil wir viel voneinander lernen können, und weil sich vieles übertragen lässt. Es hat sich auch gezeigt, dass die Anpassungspraxis auch in Deutschland oder Österreich noch am Anfang steht – es gibt also noch viel zu tun.
 
Es wird von genutzten Chancen in Bezug auf Klimaveränderung gesprochen, was mutig ist. Warum diese Positionierung?
Die Zielsetzung der Strategie des Bundesrates lautet klar: Allfällige Chancen nutzen, Risiken reduzieren und die Anpassungsfähigkeit steigern, und diese Zielsetzung haben wir auch im Pilotprogramm. Es gibt tatsächlich gewisse Chancen wie einen geringeren Energiebedarf für das Heizen im Winter oder eine längere Vegetationsperiode. Die klimabedingten Risiken überwiegen jedoch ganz eindeutig. Das spiegelt sich auch im Pilotprogramm: es gab kein Projekt, das sich nur auf Chancen fokussiert hat. Die Stadt Sitten im Wallis hat sich mit klimaangepasster Stadtentwicklung beschäftigt. Die Stadtplaner haben dazu Böden entsiegelt, wodurch das Wasser bei Starkniederschlag besser versickern kann, öffentliche Plätze begrünt, beschattet und mit bunten Bänken ausgestattet, und dadurch Aufenthaltsqualität auch an Hitzetagen geschaffen. So werden nicht nur Risiken reduziert, sondern zusätzlich Synergien mit ökologischen und sozialen Anliegen geschaffen und dadurch im Endeffekt auch Chancen genutzt.
 
Welche positiven Auswirkungen hast du von der Arbeit in der Form des Pilotprogramms wahrgenommen?
Anfangs beim “Call for Projects” wurden wir entgegen unserer Erwartung mit über 100 eingereichten Projekten überrannt. Die 31 umgesetzten Projekte sind inhaltlich und organisatorisch sehr vielfältig und verteilen sich über das ganze Land. Die Ergebnisse der Projekte haben die Wissens- und Handlungsgrundlagen stark ausgebaut. Wir haben jetzt gute Beispiele, auf die wir bei Anfragen zurückgreifen können, und wir haben die Möglichkeit, die zunehmend interessierten Medienvertreter direkt an die Projektträger vor Ort zu vermitteln. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten auf den verschiedenen Ebenen konnte verbessert werden. Schlussendlich haben wir ein gutes Angebot geschaffen, für das sich auch andere Länder interessieren. Österreich hat kürzlich ein Förderprogramm zur Anpassung in Regionen aufgestellt und uns eingeladen, unsere Erfahrungen in die Vorbereitung einzubringen. Es freut uns natürlich sehr, wenn das Pilotprogramm als eine Art Vorbild gesehen wird.
 
Hast du das Gefühl es wurde zugänglicher oder anders wahrgenommen durch die Tatsache, dass es Pilotprojekte sind?
Wir haben immer kommuniziert, dass es sich um ein Pilotprogramm handelt, was nicht mit einem Förderprogramm, das seit Jahren oder Jahrzehnten existiert, gleichzusetzen ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass nicht alles auf Anhieb klappt, war also allen bewusst. Die Bundesämter haben Flexibilität gezeigt bei Projekten, die ihr Arbeitsprogramm nicht genauso umsetzen konnten wie geplant, und diese so weit als möglich unterstützt. Dabei haben wir viel Wert auf die fachliche Begleitung gelegt und gemeinsam nach Lösungen gesucht, um schlussendlich auch über Umwege zu einem guten Projektabschluss zu kommen.
 
Mit welchen Herausforderungen wart ihr während des Programms konfrontiert? Was habt ihr dabei gelernt?
Aus meiner Sicht war es die grösste Herausforderung, die Heterogenität der vielen Beteiligten, der verschiedenen Ebenen und Räume und der unterschiedlichen Themen zusammenzubringen. Mit der neuen Thematik und den damit verbundenen Unsicherheiten war das Programm tatsächlich ein Pilot. Der Aufwand für die Koordination war gross, aber er hat sich gelohnt. Bei der Programmleitung war es uns wichtig, dass wir die Projektträger entsprechend ihren Bedürfnissen und nach unseren Möglichkeiten unterstützen. Mit einer Dienstleistungsmentalität lässt sich durchaus einiges erreichen. Zum Beispiel haben zu Programmbeginn mehrere Projektpartner Mühe in der Anwendung von Klimaszenarien für ihr Pilotgebiet bekundet. Wir haben deshalb einen Workshop mit Klimawissenschaftlern von Meteo Schweiz, der ETH und der Uni Bern organisiert, an dem die Projektbearbeiter ihre Fragen im direkten Gespräch mit den Experten klären konnten. Dieses Beispiel verdeutlichte aber auch, dass Wissenschaftler und die Nutzer ihrer Produkte nicht die gleiche Sprache sprechen und teilweise sehr verschiedene Bedürfnisse haben. Da sich beide Seiten auf das Experiment eingelassen und gewisse Eintrittshürden überwunden haben, hat dieser Austausch aber gut funktioniert.  
 
Also wie eine Plattform zwischen Experten und Praktikern?
Genau, es war und ist uns ein Anliegen, diese Welten zusammen zu bringen. Es gibt die Welt der Verwaltung, die der Wissenschaft und es gibt viele Welten in der Praxis, zum Beispiel ist die Wasserwirtschaft eine andere Welt als die Naturgefahrenprävention, oder ein Verband funktioniert anders als eine Versicherung. Durch den persönlichen Austausch mit den Beteiligten kann man Verständnis und auch Vertrauen aufbauen, was aber eine gewisse Zeit braucht. So kann es gelingen Experten und Praktiker auch längerfristig zusammenzubringen.
 
In welchem anderen Kontext wäre, deiner Meinung nach, ein solches Programm mit einer Reihe von Pilotprojekten interessant und welche Ratschläge würdest du einer Verwaltung geben, die sich dafür interessieren würde in dieser Form zu arbeiten?
Die Besonderheit des Pilotprogramms war, dass das Thema Anpassung neu, sektorenübergreifend und sehr langfristig ausgerichtet ist. Dass der Bund einen Rahmen vorgibt und die Umsetzung auf den Ebenen darunter stattfinden muss, ist dagegen üblich. Für solche Settings ist der Ansatz des Pilotprogramms eigentlich generisch und auf verschiedenste Themen der nachhaltigen Entwicklung oder der Innovation übertragbar. Das heisst jedoch nicht, dass unzählige neue Förderprogramme aufgegleist werden sollen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass man die existierenden Förderprogramme gut koordiniert und die Kohärenz der verschiedenen Ansätze verbessert. Die Förderlandschaft ist heute schon sehr unübersichtlich und es gibt viele Überlappungen.
Wenn man ein ähnliches Programm aufgleisen will, gilt es, von Beginn an ein klares Ziel zu setzten und die Zuständigkeiten möglichst eindeutig festzulegen. Es braucht eine Koordinationsstelle, wo die Fäden zusammenlaufen und die den Austausch, ein gemeinsames „Programm-Verständnis“ und eine gemeinsame Sprache fördert. Von der Grundhaltung empfiehlt es sich die Projekte auch fachlich zu unterstützen und nicht allein zu kontrollieren. Der Dienstleistungsgedanke hilft, dass sich Vertrauen entwickeln kann, und dass sowohl die Programmseite als auch die Projektseite einen Nutzen haben und voneinander lernen.
Aktuell bereiten wir bereits ein Folgeprogramm vor. Dabei stösst man auf ein bekanntes Problem: Phase 1 ist abgeschlossen und die Interessen richten sich schnell auf Phase 2. Dadurch besteht die Gefahr, dass die jetzt verfügbaren guten Ergebnisse, Produkte und Erfahrungen zu wenig transferiert werden. Daher auch meine letzte Empfehlung: Es ist wichtig, den Wissenstransfer in der Schlussphase schon beim Programmdesign zu planen. Die Inwertsetzung von Ergebnissen, Produkten und Erfahrungen können auch zu einer erfolgreichen Folgephase beitragen.

(Ein Interview mit Thomas Probst, verantwortlich für die Strategie zur Anpassung an den Klimawandel, Pilotprogramm, Infoplattform - Ittigen, 19.07.2017)

(Foto: Emanuel Ammon/AURA)